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om200 / Band 36
Benedict Kraus (1725– gest. vor 1813)
Die Schöpfung
Erstausgabe
für S, T, B, Coro, 2 fl, 2 ob, 2 cl, 2 fag, 2 cor, 2 clar, 2 trb (ad lib), timp
Herausgegeben von Ullrich Scheideler
om200
Ausgaben*

Eine „Schöpfung“ vor Haydn

Das Thema der Schöpfung als der großen und herrlichen, von Gott geschaffenen Welt, für die dem Schöpfer mit Lobpreis zu danken ist, tritt in der Vokalmusik am Ende des 18. Jahrhunderts deutlich hervor. Arnold Schering nennt in seiner Geschichte des Oratoriums drei Werke, die vor Haydns 1798 uraufgeführtem Oratorium Die Schöpfung entstanden sind: Die Schöpfung von Benedict Kraus (1790), Die Schöpfungsfeier oder Die Hirten in Midian von Johann Samuel Possin (um 1782) und Das Hallelujah der Schöpfung von Friedrich Ludwig Aemilius Kunzen (1797). Man kann diesen Werken noch Carl Philipp Emanuel Bachs Vertonung von Klopstocks Ode Morgengesang am Schöpfungsfeste (1783) hinzuzählen. […] Tatsächlich weist die Schöpfung von Kraus, abgesehen von ihrer geringeren Länge, in Inhalt und Aufbau deutliche Parallelen zu Haydns Schöpfung auf, während dies bei den Kantaten von Kunzen, Possin und Bach in weit geringerem Maße und bei einem englischen Oratorium Creation (um 1789) von Thomas Busby, nach zwei erhaltenen Quellen zu urteilen, gar nicht der Fall ist.

Benedict Kraus

[…] Diese Angaben zusammengenommen  können die Lebensstationen von Kraus einstweilen mit allem Vorbehalt wie folgt skizziert werden: Salzburg (dort 1725 geboren) – Wien – München – Bonn (von 1761) – Basel (1761–1762) - Baden-Baden (1762–1763?) – Ottobeuren (um 1764–1767) – Linz (um 1770 bis ?) – Triest (oder früher? oder später?) – Weimar (um 1784/85 bis spätestens 1790) – Coburg (um 1790/91?) – Linz (in den 1790er-Jahren, dort vor 1813 gestorben?). Über sein Schaffen gibt es noch keinen systematischen Überblick. Eine nicht kleine Zahl seiner Werke ist in Ottobeuren und anderen Archiven im Autograph oder in Abschrift erhalten geblieben: Messen aus den Jahren 1764–1791, weitere kirchenmusikalische Werke von 1767–1791, italienische Arien von 1788–1789, Namenstagskantaten für den Prior bzw. Abt von Ottobeuren 1764 und 1791, eine Oper L’isolad’amore, ein 1789 aufgeführtes Oratorium La Betulia liberata u. a.

Daß der von Gerber 1813 wie auch in der Lübecker und Gothaer Quelle als Textdichter der Kraus’schen Schöpfung genannte Hofprediger Hochbaum (bei Fetis: Hofbaum) vielleicht Hohnbaum geheißen hat, wie der Verfasser der „Biographischen Nachricht“ über Kraus, ist eine naheliegende Vermutung, die sich m. E. hinreichend bestätigen läßt. Es handelt sich anscheinend um Johann Christian Hohnbaum, geboren am 6. November 1747 zu Rodach (einem Städtchen zwischen Coburg und Hildburghausen). Nach Besuch des Gymnasium Casimirianum in Coburg und nach einem Theologie- und Philologiestudium in Göttingen war er Hauslehrer bei Coburg, seit 1775 zweiter Prediger (Diakon) zu Rodach, seit 1777 zweiter, 1780–1786 erster Hofprediger zu Coburg und seit 1786 oder 1787 Superintendent zu Rodach, wo er als herzoglich sächsischer Kirchenrat am 13.November 1825 gestorben ist. Neben der Theologie galt sein praktisches Interesse der Dichtkunst, Musik und Malerei. […]

Allgemeine Anmerkungen

Inhaltlich fällt auf, daß der Text von Hohnbaum wie der auf einer verschollenen englischen Vorlage fußende Text Swietens und wie schon Johann Adolf Schlegels umfangreiches Gedicht Die Schopfung (1748) sich auf die sechs Tagewerke des ersten biblischen Schöpfungsberichts (Gen. I,1–31 und 11,1–4a) beschränkt, also den in dem zweiten Schöpfungsbericht (Gcn. 11,4b–25 und III) erzählten Sündenfall gemäß der „natürlichen“ Religion der Aufklärung ausschließt. Darin unterscheiden sich die Dichtungen von Miltons Paradise Lost, dem Epos, das bekanntlich der englischen Vorlage des Swietenschen Textes wesentliche Anregungen gab und das stellenweise […] auch Hohnbaum beeinflußt zu haben scheint (Miltons Epos war in Übersetzung von J. J. Bodmer 1732 und 1769 in Zürich und von F. W. Zachariä 1763/64 in Altona erschienen). Hohnbaum folgt der biblischen Beschreibung des Sechstagewerks aber weniger genau, als Swieten dies tut, der zuerst jeweils die King James Version der Bibel mit wenigen Lücken übersetzt und sie dann paraphrasiert, während Hohnbaum den biblischen Schöpfungsbericht von vornherein interpretiert und poetisierend beseelt, indem er z. B. die Sonne aus dem Morgenrot („Gold und Purpur und Rosenroth“) hervorgehen (Nr. 12A) und den Mond von den Sternen umtanzen läßt (Nr. 128). Die teilweise hymnische Sprache Hohnbaums ist von Klopstock beeinflußt und weniger klar, aber sicherlich poetischer als die schon bald nach der Veröffentlichung als zu nüchtern kritisierte Swietens. […]

Die vorstehenden Ausführungen konnten nicht mehr sein als ein erster Versuch der Annäherung an einen Komponisten, dessen Anteilnahme weckende Biographie noch weiterer Klärung bedarf und dessen Schaffen, das sich durch seine Schöpfung als beachtlich erweist, noch weitgehend der inhaltlichen Erschließung und Würdigung harrt.

von Georg Feder

zitiert nach (unter Auslassung der Anmerkungen):
Georg Feder, Eine „Schöpfung“ vor Haydn, in: Musikalische Quellen, Quellen zur Musikgeschichte: Festschrift für Martin Staehelin zum 65. Geburtstag, hrsg. von Jürgen Heidrich, Hans Joachim Marx, Ulrich Konrad, Göttingen 2002, S. 329–344.

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